Donnerstag, 10. Februar 2011

Tag 5 oder so

Ach ja....


jetzt ist es wieder abends, mein Freund und ich sitzen auf dem Sofa und schauen fern. eigentlich bin ich ganz entspannt, viel zu entspannt, denn eigentlich müsste ich jetzt vollgepumpt mit Koffein die ganze Nacht durcharbeiten und meine Abschlussarbeit schreiben. Montag ist angeblich (!) Abgabetermin. Falls meine Verlängerung nicht durchgeht. Sollte sie durchkommen, dann würde ich noch zwei Wochen Zeit haben (was auch nicht viel Zeit ist), aber bis jetzt hab ich noch kein grünes Licht bekommen. 


Warum sitze ich dann hier vor dem PC und schreibe in diesem Blog, der sowieso keiner liest, und verschwende meine Zeit? 


Ich weiß es nicht. Ich drücke mich mit allen Mitteln gegen diese Abschlussarbeit. Ich habe Angst davor, zu versagen. Und diese Angst paralysiert mich. und ich flüchte in die Essstörung (heute habe ich gefühlte 30.000 Kalorien gefressen & gekotzt, verteilt auf den ganzen Tag macht das insgesamt sechs mal Kloschüssel putzen) wie sehr wünsche ich mir, ich hätte doch was anderes aus meinem Leben gemacht, etwas anderes studiert, andere Entscheidungen getroffen, einfach nur ein "besserer Mensch" mit mehr Mut gewesen sein.


Das ist es, was mir fehlt. Mut! Mut und das Vertrauen in mir selber! ich will endlich die Frau sein, von der ich immer träume! Schönheit kommt doch von innen, oder? 
fuck ich fühl mich echt alleine.



Freitag, 4. Februar 2011

Tag 3 & 4 ... etwas muss sich ändern

Tag 3 (ungefähr eine Woche nach Tag 2) 15.18

Okay ich hab die Nase voll. Ich hör jetzt, heute auf mit der Bulimia. Ich liebe das Leben und sage ja zum Leben. Ich bin mehr als nur eine Essstörung. Ich kann es schaffen.

Ich werde mir auf jeden Fall Hilfe suchen, sobald ich meine Abschlussarbeit fertig geschrieben habe.

Tag 4 (unbestimmte Zeit nach Tag 3)

....

hmm. Heute habe ich beschlossen, diesen Blog zu erstellen. Schon irgendwie komisch, so viele intime Details über mein Leben im Internet zu veröffentlichen, sicher werden es viele nicht verstehen, wer kann denn Menschen mit Essstörungen verstehen, außer die, die selber welche haben?

Bulimie ist so out. ich weiß noch, als ich ein Kind war (in den 90er Jahre) da war Magersucht und Bulimie und so weiter ein großes Thema, damals beschimpfte man die Modeindustrie, da sie viel zu dünne Models zum "weiblichen Ideal" deklarierten. 
ich weiß noch wie zu hause sich die ganze Familie darüber aufregte. Meine Schwester, die fast sieben Jahre älter ist als ich, litt nämlich an Magersucht und Bulimie. Sie war 14 oder 15, als sie krank wurde. 
Naja, jedenfalls war das Familienleben dadurch "gestört", meine Mutter weinte viel, mein Vater zog sich in Arbeit zurück und meine Schwester verschlang alle Schokoladen, Cornflakes und andere Süßigkeiten, die sie nur finden konnte. Zu Weihnachten, Geburtstagen und Ostern mussten also Schokoeier und Schokoweihnachtsmänner vor ihr versteckt werden. 

Naja, lange Geschichte, kurzer Sinn, jedenfalls fing es dann irgendwann auch bei mir an. Meine Schwester ist schön, wirklich. Sie war schon immer schlank (die letzen zehn jahre war sie eigentlich immer untergewichtig, etwas zu dünn find ich und natürlich ist sie wegen ihrer Essstörung  klein geblieben) auch damals, als sie 15 war. sie war immer schon dünner als ich. ich konnte ihr Verhalten nicht verstehen. Also las ich Bücher die meine Mutter gekauft hatte, Bücher die angeblich dafür geschrieben wurden um Essgestörte und ihren Familien zu helfen. und ich las ebenfalls, wie jede kleine Schwester es tut, ihre Tagebücher. darin schrieb sie Sachen wie "ich bin so fett, ich kann an jeder Körperstelle die Fettpolster regelrecht spüren, ich bin hässlich, ich hasse mich" und son scheiss. ich meine, wie kann man nur so bescheuert sein, und so was über sich denken, vor allem, wenn man so schlank ist, wie sie???
Naja, jedenfalls fing ich irgendwann an mir selbst zu zweifeln. wenn sie so fest davon überzeugt war, dass sie dick war, wenn sie doch eigentlich dünner war als ich, was wäre dann wohl ich? ein Walross?


wenn sie gerade mal nicht gerade unsere Lebensmittel heimlich fraß und erbrach, dann backte sie fettige Kuchen und Plätzchen für die ganze Familie. Sie aß nie welche, wenn wir sie aßen. Sie sah nur zu.
Als ich dann vierzehn war, zog sie aus, und mit ihrem Auszug fingen bei mir die "Symptome" auch an. Ich hungerte, bis ich anämisch wurde, und trank an einem Morgen Wasser mit viel Salz, wie ich es in einem dieser  Bücher gelesen hab (Alice im Hungerland) um zu erbrechen. Das geschah dann auch, aber leider hatte ich es früh am Morgen gemacht, bevor ich gefrühstückt hatte, so dass ich nur Schleim erbrach. 
Mit fünfzehn zogen wir um und fuhren kurze Zeit darauf in den Urlaub (Papa, Mama und ich) in die Karibik. wir aßen zusamme zu abend in einem schönen Restaurant direkt am Meer, man konnte die Wellen rauschen hören und die Sterne leuchteten hell am Himmel. Ich war wütend auf meine Eltern, weil wir umgezogen waren, weil ich meine Heimat vermisste und weil ich ein pubertierender Teenager war. Ich bestellte mir einen fettigen Hamburger mit einer riesengroßen Portion Pommes, verschlang alles   und verschwand daraufhin in der Toillette um mich zum ersten Mal in meinem Leben (erfolgreich) zu erbrechen. es war ein wundervolles Gefühl. Macht und Kontrolle. Ich konnte alles essen, was ich wollte und würde dabei nicht zunehmen. das Kotzen fand ich zwar immer noch ekelhaft, aber das Gefühl danach ist unbeschreiblich. Man ist einfach High und glücklich (krass wa).

und so fing alles an. Nun, jetzt sind schon zehn Jahre seit dem vergangen, im März werde ich 25 und ich habe es immer noch nicht geschafft, damit aufzuhören (wie oft habe ich mich schon dabei ertappt, dass ich gesagt hab: Okay, das ist das letzte Mal, verdammt noch mal!!). 
Natürlich ist es eine Lüge, wenn man denkt, dass man durch ständiges erbrechen die Kontrolle über das Leben bekommt, dass man glücklicher oder erfolgreicher wird. Ganz im Gegenteil. Viel mehr versinkt man irgendwann darin. Depressionen, Ängste zu Versagen und Scham sind wohl eher die Resultate, die man irgendwann erhält. 


Es ist wie eine Droge, zu der man flüchtet, um den Alltagsdruck zu vergessen. Von Frauen in meinem Alter wird viel verlangt. Wir müssen erfolgreich sein, Karriere machen (warum hat man denn studiert und sich jahrelang von seinen Eltern finanziell unterstützen lassen, die so viel für einen geopfert haben?), gut aussehen (im ernst jetzt, in dieser scheiß oberflächlichen Gesellschaft achten alle nur aufs äußere!) und so. 
 ich steh kurz davor, ins Berufsleben einzusteigen und ich habe Angst davor. es ist schwieriger als je zuvor, einen gut bezahlten Job zu bekommen, vor allem in Großstädten wie der, in der ich lebe. 
Ich bin erwachsen und muss mein Leben auf die Reihe endlich kriegen, so wie Jeder andere auch.
Das Problem ist nur: ich hasse das, was ich studiert habe (BWL). Ich will damit gar nix zu tun haben. Ja warum zur Hölle habe ich dann BWL studiert? tja... die Antwort ist billig, aber leider die Wahrheit: weil ich es meinen Eltern recht machen wollte.


Zurück zur Bulimie.
Kein Schwein redet mehr über Bulimie in der Öffentlichkeit, Kotzen ist einfach nur ekelhaft, wer sowas macht ist doch krank im Kopf. Tja, angeblich sollen 20% der Frauen daran erkrankt sein. 20%! Ist schon ganz schön viel... aber man sieht es uns nicht an. denn wenn wir etwas richtig gut können, dann ist es, unsere Krankheit zu vertuschen. Niemand würde sowas je von mir denken. Niemand. Ich bin eine wahre Künstlerin im Vertuschen und Lügen.
Am Ende belüge ich mich aber nur selber.

Tag 2

Tag 2, 14.23

Ich wünschte, ich wäre tot.

Naja, vielleicht nicht ganz so dramatisch. Vielleicht sollte ich das lieber so formulieren: ich wünschte, ich wäre hässlich. Dick, aber glücklich. Dass ich Essen genießen könnte. Dass ich nicht ständig auf Diät sein müsste (ich nenne es zwar nie „Diät“, aber im Grunde ist es doch Diät, wenn man nur noch Obst und Gemüse essen kann.) Ich wünschte ich wäre in einem kleinen Dorf geboren, irgendwo in Nepal oder so, so dass ich jetzt als tibetische Nonne in einem Kloster den ganzen Tag lang nur meditieren könnte und mir um den Rest der Welt keine Sorgen machen müsste. Irgendwo, wo man keinen Wert darauf liegt, welche Kleidergröße man trägt, oder wie viele Freunde man auf Facebook hat.
Ich habe vor kurzem irgendwo gelesen, dass „Frauen, die von Essstörungen betroffen sind, meistens eher zum hübscheren 10% der Frauen zählen“. Ja, das kann ich gut nachvollziehen. Denn okay, so mal ganz ehrlich gesagt, was bin ich eigentlich? Ich denke schon, dass ich hübscher als der Durchschnitt bin (okay, das ist ein Problem, denn was ist denn eigentlich mein Maßstab? Weltweiter Frauendurchschnitt? Frauen in Deutschland? Frauen an der Uni? Frauen im Fernseher?), sagen wir mal der normale Durchschnitt der Frauen, die man so auf der Straße hier sieht (wie gesagt, das ändert sich bereits schon dann, wenn ich in der U-Bahn auf dem Weg zur Uni bin). Wenn man das so sieht, dann okay, bin ich wohl kein hässliches Entlein, ABER ich bin auch nicht so hübsch wie viele andere Frauen (Models, naja die sind mir eigentlich egal. Frauen im Film und Fernseher... nein, sie sind mir nicht egal. Pornstars? Sind mir am wenigsten egal!!). Beliebtheit ist dünn. Erfolg ist dünn. Glück ist dünn. Alle Frauen, die man sieht, sind dünn, schlank, hübsch. Das ist die Message, die einem tagtäglich ins Gehirn gewaschen wird.
Deswegen wünschte ich, dass ich erst gar nicht irgendwie auf den Gedanken kommen würde, jemals solche Ansprüche zu haben um so auszusehen. Aber der Druck ist groß. Vor ein paar Wochen bei meinen Eltern hat mich eine Arbeitskollegin von meinem Vater fast in einer aggressiven Art und Weise dafür gelobt, dass ich „voll viel abgenommen hätte“. „Du siehst einfach wundervoll aus, du bist sooo schlank geworden!“ wiederholte sie so oft, bis selbst meine Mutter und meine Tante die Augen rollen mussten. Ja, es stimmt. Als ich das letzte Mal bei meinen Eltern war (das war 2008) , wog ich mehr. Aber, was keiner dort weis: ich war damals über glücklich. Ich aß unbeschwert, gönnte mir Capuccinos, Schokoladendesserts und Brunches. Ich war zum ersten Mal in meinem Leben verliebt (richtig glücklich verliebt) hatte ein wundervolles Praktikum und viele Freunde. Ich war glücklich.
Anders als jetzt.
Aber man wird nicht dafür gelobt, ob man glücklich ist oder nicht. Man wird fürs glücklichsein nicht angelächelt, nicht freundlich behandelt, nicht bewundert, nicht einmal angeschaut. Nein, das wird man nur, wenn man dünn ist. Dafür bekommt man Komplimente, Lob, Aufmerksamkeit, Liebe. Scheiße man, warum bin ich nur so oberflächig? Früher hätte mich das alles nicht interessiert. Sinnloses Gelaber. Aber jetzt ist es zu spät. Ich kann nicht anders, als mich ständig mit anderen zu vergleichen. Ständig in den Spiegel zu gucken und mich innerlich über meinen viel zu fetten und schwabbeligen Bauch zu beschweren.
Ich kann nicht anders, als alles, was ich esse und dick macht (meine ehemalige Therapeutin würde sagen, alles was auf meiner Liste von „verbotenen Nahrungsmittel“ steht) wieder auszukotzen, aus Angst. Angst zur versagen. Dick zu werden. Wieder zuzunehmen. Anstatt Komplimente nur noch peinlich berührte Blicke („Mensch, die hat ja ganz schön zugenommen“) zu bekommen.

wenigstens hab ich heute eigentlich wenig gegessen und noch nicht erbrochen. besser auf jeden Fall als gestern, wo ich den ganzen Tag nur über der Kloschüssel hing. Wie ich das Kotzen leid habe. Und ach so ja, gestern ist mir was ganz blödes passiert. Einmal hab ich mich tatsächlich zum ersten Mal mit den Zähnen eine kleine Schnittwunde auf meiner rechten Hand zugefügt. Aber, ehrlich gesagt, wem interessierts? Was noch viel schlimmer war: als mein Freund nach Hause kam, legte ich mich kurz zu ihm auf die Couch. Er hatte Hunger, wollte zur Küche gehen. Ich bin daraufhin schnell aufgestanden, wollte vor ihm in der Küche sein, und ihm beim kochen helfen. Und mir ist wirklich für einen Moment lang schwach geworden. So ganz komisch, wackelige Beine und so. aber das ist alles nur Einbildung. Ich bin einfach nur zu schnell aufgestanden. Und vielleicht war es auch ein heimlicher Hilferuf („, bitte, rette mich, ich hasse mich, ich hasse alles, das Leben, das Essen, einfach alles, bitte mach, das es aufhört!“), aber ich konnte nicht mit ihm darüber reden. Hab nur etwas geheult. Das wars. Und er? Er hat das getan, was er am besten kann. Alles ignorieren. Zwar bestand er darauf, dass ich noch ein Glas Wasser trinken sollte (was ich nicht getan hab) und dann hat er mir noch dabei geholfen, mir etwas Gemüse zu schneiden. Gemüse! Das kann ich ja essen, dachte ich so. aber sobald ich den großen Teller leer hatte, wollte ich mehr. Bin somit zurück in die Küche, hab alles gefuttert, was ich finden konnte (Toast mit Erdnussbutter, Cornflakes, Schokolade die er gekauft hatte, leider gabs nicht mehr als das) und daraufhin rannte ich zum dritten Mal an dem Tag zur Toilette. Aber ich hatte Angst, vielleicht würde er mich aufhalten wollen? Ich war ziemlich lang da drin, es war sehr schwer, Gemüse ist nicht leicht zu erbrechen und alles kam beim besten Willen nicht mehr heraus. Ich kam nach einer langen Weile wieder raus, und mein Freund saß auf der Couch und spielte Xbox.

Tja, heute bin ich wenigstens nicht zu Hause geblieben! Das ist ein Fortschritt! Ich weiß, ich sollte mal mein Hütten-Käse-Brötchen oder so essen, aber ich kann nicht. Ich muss jetzt auch weiter an meiner Abschlussarbeit schreiben. Ich scheiße jetzt einfach mal aufs Essen.

17.05

das hat natürlich nicht geklappt, hab das Brötchen regelrecht verschlungen. 
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Hmm... das Brötchen hatte bestimmt mindestens 300 bis 400 Kalorien! Ist schon ziemlich viel. Heute abend hab ich wieder ein „Essen“. Mit einer Freundin. Was für eine Geldverschwendung, es landet sowieso wieder alles in der Toilette... fuck.

Tag 1


Tag 1, 15.26

Im Radio wurden gerade de Nachrichten durchgesagt. Die Stimme des Moderatoren klang wie immer nett als er verkündete, dass sich ab heute zwei Jugendliche vor dem Landesgericht in Frankfurt Oder stellen müssen, da sie irgendwann mal einen schlafenden Obdachlosen in Brand gesteckt haben.

Aber das war jetzt nicht von Bedeutung. Viel wichtiger war das, was ich jetzt gerade vor mir hatte. Ich überlegte kurz, was wohl als nächstes herauskommen sollte. Ach ja, der Milchreis. Ich steckte meine Finger noch tiefer in den Hals, so dass er noch stärker brennte und meine Sicht verschwamm. Für einen Augenblicklang konnte ich nur die Umrisse von der Brühe sehen, die vor mir in der Toilette schwamm. Die Cornflakes, die Toastbrots mit Erdnussbutter und Nutella waren bereits ausgekotzt und wie erwatet kam jetzt der Milchreis hinterher. Zu sehen war zwar nicht viel, die Pampe war eigentlich ziemlich hell und hätte auch einfach nur die Milch sein können, die sich mit dem Brot vermischt haben könnte. Aber der Geschmack war nicht zu verwechseln. Ein ekliger, süßer und künstlicher Geschmack. Raus, raus, raus, dachte ich nur. Alles muss raus. Jetzt fehlte nur noch das Hütten-Käse-Brötchen, mit dem alles angefangen hatte. Schon bereits vorher hatte ich weiße kleine Kugeln in dem Erbrochenen entdeckt, also konnte es ja nicht mehr lange dauern. Zum gefühlten tausendsten Mal steckte ich die Finger in den Mund und plötzlich kam etwas rotes heraus. Rot? Das ist doch unmöglich! Ich hatte mir heute Vormittag einen Teller mit Nudeln, Käse und einer roten Paprikasoße gemacht, gegessen und bereits erbrochen. Das war heute Vormittag! Wie konnte es sein, dass da noch etwas heraus kam? Scheiße, Scheiße, Scheiße. Man sagt ja, dass etwa 20% des Essens, das man erbricht, im Magen bleibt. Ich will das nicht. Es muss alles raus. Wie konnte ich vorhin nur so schlampig sein? Verdammte Hundekacke. Ich tätige die Spülung, renne zum Waschbecken und lasse das Wasser laufen. Das Wasser ist warm, es fühlt sich eklig an. Aber ich hab nicht viel Zeit, ich lass es nur laufen, um mir schnell den Schleim von den Händen zu waschen und mir den Mund etwas auszuspülen. Und ich versuche, zwei, drei Schlücke zu trinken, damit das Essen leichter heraus kommt. Sofort renne ich zur Kloschüssel zurück und fange wieder von neuem an. Jetzt ist es schwer, noch etwas herauszuwürgen. Der Großteil ist bereits weg. Aber es kommt trotzdem immer wieder was neues. Meine rechten zwei Fingerknöchel (Zeigefinger und Mittelfinger) sind rot angeschwollen, aber das ist mir egal, spätestens nach einer Weile sehen sie wieder aus, wie immer. Keiner ist zu Hause, also kann ich röcheln. Das soll beim brechen wirken, habe ich im Internet gelesen. Ich tue es. Auf der selben Webseite wurde auch einem geraten, mit den Fingern den Hals zu kitzeln. Ich tue auch dies. Und würge nur noch Schleim. Aber ich bin hartnäckig, bleibe bei der Sache, und tatsächlich, nach ein paar mal röcheln, kitzeln, würgen, kommt doch noch ein Häufchen Kotze zusammen. Was es jetzt genau ist, kann man nicht mehr sagen. Ich kann ein paar rote Stückchen erkennen (wohl Paprikasoße, die an Nudeln klebte), kleine Sesamkörnchen (die kommen vom Brot), noch mehr von dem ekligen künstlichen Geschmack und dann noch ein paar grüne Fetzen. Das war die Gurke, die ich heute Vormittag als erstes gegessen habe (man sollte immer zu erst etwas farbiges essen, damit man bescheid weiß, wann alles ausgekotzt sein sollte.)
Ich versuche noch ein letztes Mal, zu würgen. Dieses mal kontrahiere ich meine Bauchmuskeln während meine Finger wie wild den Hals kitzeln, was höllisch im Magen wehtut. Ich denke nur :raus, raus, raus, warum habe ich überhaupt angefangen zu essen?
Ich hätte nicht zu hause bleiben dürfen. Es war ein schlechter Tag. Wenn ich zur Uni gefahren wäre, würde ich nichts gegessen haben. Es hat die ganze Woche lang gut funktioniert, ich habe meinen Körper daran gewöhnt, am Tag nur mit Frühstück (eine Kiwi, eine Banane, ein bisschen geriebene Mandeln und Diätjoghurt), zwei Äpfel, und zugegeben, einem Hütten-Käsebrötchen auszukommen. Aber heute, wo ich einfach zu faul war um mich aus dem Haus zu quälen, hab ich versagt.
Egal, jetzt muss ich die Spuren verwischen. Ich nehme einen Fensterreinger, weil mein Freund wieder mal das Putzzeug in die Küche gebracht hat. Egal, das tuts auch. Ich wische alles weg, spüle noch mal sorgfältig nach und gehe dann wieder zurück zum Waschbecken. Ich lasse das Wasser laufen, ein dicker, fester Strahl und wasche meinen Mund und Hände ab. Das Wasser sammelt sich etwas im Becken auf und ich tauche meine Hände dort ein. Meine rechte Hand sieht echt nach einer an Bulimie erkrankten Person aus, aber wie gesagt, in ein paar Minuten sieht man nichts mehr. Ich blicke in den Spiegel, meine Augen tränen wieder ein bisschen, aber nicht so krass wie heute morgen. Da sah ich wirklich so aus, als ob ich geweint hätte (rote Augen, tränen liefen mir aus den Augen usw.). jetzt fällt mir nur mein rotes Gesicht auf und meine leicht zerzausten Haare. Egal, das bleibt ja nicht mehr so. Als ich meine Hand nach dem Handtuch ausstrecke wird mir einen Moment lang schwindelig, aber das ist nur Einbildung. Noch NIE bin ich wegen so was umgekippt, noch nie im Krankenhaus gewesen, noch nie hat mich jemand davon abhalten können, noch nie ist irgendetwas ernstes passiert.

Und das, obwohl ich schon seit elf Jahren, (ganze elf Jahre!) damit lebe. Okay ich muss jetzt die letzten Spuren in der Küche verwischen, mein Freund kommt gleich. Und dann muss ich mich endlich zurück an die Arbeit machen.